view painting
Robert Bosch Krankenhaus
Stuttgart
2021
Text: Isabel Grüner
Robert Bosch Krankenhaus
Stuttgart
2021
Text: Isabel Grüner
Kunst als Healing Environment
Im Robert Bosch Krankenhaus wird seit über 20 Jahren mit zeitgenössischer Kunst das Umfeld der Patienten*innen verschönert. Ziel dabei ist es, ein Healing Environment zu schaffen, das durch positive Sinneseindrücke nachweislich dabei hilft, den Heilungsprozess zu unterstützen und Ängste abzubauen.
Die Lunge im Zentrum
Das neue Lungenzentrum des RBK vereint die beiden Fachrichtungen Pneumologie und Beatmungsmedizin unter einem Dach und widmet sich ausschließlich der Diagnose und Heilung des menschlichen Atmungsorgans.
Innere und äußere Hülle als Gesamtkunstwerk
Um den Lungenkranken Patienten*innen das Atmen zu erleichtern, hat sich die Krankenhausleitung erstmals in der Geschichte des RBK entschlossen, nicht nur die innere, sondern auch die äußere Hülle des Erweiterungsbaus künstlerisch gestalten zu lassen. Durch die räumliche Nähe zu den Nachbargebäuden soll die Kunst die Aufgabe erfüllen, vor Einblicken zu schützen und zugleich einen anregenden Aus- und Anblick zu schaffen. Die Kunstbeauftragte am RBK, Isabel Grüner, fungiert bei diesem Projekt als Kuratorin und Projektmanagerin zugleich. Sie hat drei Künstlerinnen eingeladen, unter diesen Vorgaben auf die Architektur abgestimmte Entwürfe zu entwickeln. Tanja Rochelmeyer und Elisabeth Sonneck aus Berlin wurden schließlich von der Kunstkommission ausgewählt, ihre ganzheitlichen Entwürfe zu realisieren. Im Ergebnis erscheint das Lungenzentrum nun als Gesamtkunstwerk, bei dem der funktionale Bau zu einem höchst attraktiven Blickfang mit ausgesprochenem Wohlfühlcharakter im Inneren verändert wurde. Die Basis dafür bildet ein künstlerisch wohldurchdachtes Konzept.
Atmende Balance
Tanja Rochelmeyer stellt mit geschossübergreifenden floral-abstrahierten Fensterfolien und Wandmalereien auf allen vier Fassadenseiten den Bezug zu Natur her. Elisabeth Sonneck bringt mit einem differenzierten Farbkonzept und vielschichtigen Lasurmalereien die Flure und Patientenzimmer in eine „atmende“ Balance zwischen Ruhe und Dynamik.
Tanja Rocheleyer – künsterische Qualitäten
Tanja Rochelmeyer (geb. 1975) verwendet in ihrem Werk verschiedene Techniken und Materialien. Dazu gehören Acrylfarben auf Leinwand aber auch farbiges Plexiglas, mit dem sie raumgreifende Reliefs und freistehende Skulpturen schafft. Beiden Werkgruppen gemeinsam ist das Kreieren spannungsvoller Räume, die durch das Über- und Hintereinander Legen verschiedener Flächen entstehen und am Computer gemäß einer genauen Bildidee geplant werden. Ein weiteres durchgehendes Merkmal ihrer Werke sind scharf voneinander abgetrennte – oft dynamische Flächen und Konturen, die mindestens in den frühen Leinwandbildern auch Anklänge an reale Architekturen aufweisen. Bei den Arbeiten aus Plexiglas steigert die Überschneidung von wechselnd opaken und transparenten Flächen die Vielseitigkeit der Farbnuancen, die durch das Spiel des Lichts noch verstärkt werden. Diese künstlerischen Qualitäten und Erfahrungen haben die Künstlerin geradezu dafür prädestiniert, ein gestalterisches Konzept für die Glasflächen des Lungenzentrums zu entwerfen.
„Pulmonaria“ Bezug zur heilenden Natur herstellen
Der Blick in die Natur wirkt auf gesunde wie kranke Menschen beruhigend und belebend. Sie steht für Wachstum und Erholung und weckt positive Erinnerungen an wohltuende Sinneseindrücke. Den fehlenden Naturbezug durch die künstlerische Gestaltung zu ersetzen, war eine der Vorgaben in der Ausschreibung des eingeschränkten Kunstwettbewerbs. Tanja Rochelmeyer erweitert für die Gestaltung des Lungenzentrums ihr geometrisches Formenvokabular um organisch-abstrahierte Formen und verweist mit ihrem Entwurfstitel „Pulmonaria“ auf die Pflanzengattung der Lungenkräuter. Diesen wird in der Naturheilkunde eine positive Wirkung bei Erkrankungen der Lunge und in der Wundheilung zugeschrieben.
Die weich geschwungenen Formen, die sie auf farbige Fensterfolien plotten und auf die Glasscheiben aufkleben lässt, erinnern im weitesten Sinne an Blätter, Blüten und Äste. So entsteht der Eindruck, als ob sich die umliegende Natur in den Fensterscheiben wiederspiegelt. Das einfallende Sonnenlicht erzeugt vor und hinter den beklebten Glasflächen ein bewegtes Licht- und Farbenspiel, das sich je nach Tages- und Jahreszeit lebendig verändert. Das ausgewogene Verhältnis der einzelnen Motivkompositionen aus transparenten und blickdichten Folien sowie frei gelassenen Fensterflächen bietet Sichtschutz und Privatsphäre für Patient*innen und ermöglicht Ihnen zugleich den Bezug zur Außenwelt herzustellen.
Lungenmotiv auf der Süd-West Seite
Einen markanten Blickfang bildet die über zwei Stockwerke reichende Glasfassade auf der Süd-West Seite des Gebäudes. Sie verleiht dem langgezogenen Bau Großzügigkeit und Transparenz. Der dahinter im Erdgeschoss verlaufende zentrale Durchgangsflur erschließt weitere Gebäudeteile und wird von Mitarbeitenden wie Patient*innen stark frequentiert. Die Großzügigkeit der Fassade unterstreicht Tanja Rochelmeyer mit großformatigen abstrahierten Pflanzenformen, die vorwiegend in einem warmen Lachston gehalten sind. Sie dehnen sich formal über die schwarzen Rasterelemente der Fensterfront hinweg auf beide Geschosse aus und unterstreichen damit die großzügige architektonische Geste. Zwischen großflächig blickdichten Partien in rosa leuchten kleinere Farbakzente in transparenter Folie auf. Zwei vier Meter große Lungenpaare in einem satten Grünton heben sich markant von dem zarten Rotton ab und lassen Rückschlüsse auf die Nutzung des Gebäudes zu. Sie werden zum identifikationsstiftenden Emblem des Gebäudes. Die komplette Form der Lungen erschließt sich dem Betrachter jedoch nur in der Außenansicht; Patient*innen im Innern nehmen bewusst lediglich Ausschnitte davon wahr. Die feinen Verästelungen der Bronchien werden sie eher als Adern eines Blattes oder als Wachstumsstruktur eines Baumes interpretieren.
Pastellfarbene Leinwandbilder im zentralen Durchgangsflur
Für die lange Flurwand gegenüber der Glasfassade hat Tanja Rochelmeyer eigens acht Leinwandbilder in monochromen Pastelltönen gemalt. Sie greifen formal die geschwungenen Formen der Fensterfolien auf, nehmen sich aber farblich gegenüber der Fassadengestaltung zurück. Ihre feinen – mit Perlmuttpigment strukturierten – Oberflächen reflektieren das einfallende Licht und verändern ihre Wirkung je nach Lichteinfall und Standpunkt. Die durchlaufenden Nutzer*innen bewegen sich hier in einem abwechslungsreichen Farb- und Lichtspiel, das beruhigend und sanft aktivierend auf sie wirkt.
Sonnenlicht schafft farbige Lichtreflexe
Die transparenten Folien auf der Fensterfront werfen bei Sonnenschein farbige, die transluzenten dunkle Schatten auf den Granitfußboden. Sie sorgen für temporäre und bezaubernd schöne Bodenreliefs/-skulpturen mit flüchtigem ephemerem Charakter. Hier wird die Absicht der Künstlerin, mit den Folien den Eindruck von reflektierenden Naturausschnitten im Inneren des Gebäudes zu evozieren, besonders deutlich.
Nord-Ost Fassade: klare Struktur in der Außen – Farbvielfalt in der Innenwirkung
Auf der Nord-Ost Seite des Lungenzentrums befinden sich die meisten Patientenzimmer. Hier zeigt sich einmal mehr der Anspruch der Künstlerin den ausgeschriebenen Kriterien gerecht zu werden. Die Gestaltung der Fassade sollte sowohl in der Detail- als auch in der Gesamtansicht wirkungsvoll sein. Dafür hat sie jeder Station eine dominante Grundfarbe gegeben: im Untergeschoss gelb, im Erdgeschoss fliederfarben, im ersten Geschoss grün, im zweiten orange und im dritten blau. Die farbige Durchgängigkeit bewirkt eine klare und ruhige Struktur in der Außenwirkung. In der Nahsicht – aus den Patientenzimmern betrachtet – sind die Farbkombinationen jedoch sehr viel abwechslungsreicher. Das wird erreicht, indem sie formgleiche Folien leicht versetzt übereinander legt- die eine blickdicht, die andere transparent. In den überlappenden Partien entstehen weitere Farbtöne und Binnenformen. Die blickdichten Folien sind zusätzlich mit Farbverläufen bedruckt, was die Farbvielfalt nach innen erhöht – nach außen jedoch kaum sichtbar wird. Die Außenansicht wirkt dadurch nicht unruhig. Keines der insgesamt 49 Fenster weist dieselbe Farb- und Formkombination auf und bringt somit eine größtmögliche Abwechslung innerhalb eines formal durchgängigen Grundkonzepts mit sich. Den Kranken und Pflegenden – werden somit in jedem Raum individuelle Ausblicke geboten.
Florale Anklänge auf den Stirnseiten
Farbige Folien mit floralen Anklängen schmücken auch die gläsernen Fluchttüren auf den kurzen Seitenfassaden Richtung Süd-Ost sowie die Fenster des Treppenhauses und der Vorflure auf der gegenüberliegenden Nord-West Fassade. Sie bilden einen schönen Blickfang an den jeweiligen Enden der Stationsflure und bieten gleichzeitig einen gewissen Sichtschutz für die dort eng angrenzenden Patientenzimmer anderer Gebäudeflügel. Auch die massiven Außenwände an den Stirnseiten des Gebäudes sind in die Gestaltung miteinbezogen. Die vegetative Foliengestaltung der Fensterflächen setzt sich hier in ähnlich luftiger Manier in Wandmalereien fort. Auf der einen in Form von fliegenden bunten Formen, die an Blütenblätter erinnern, auf der anderen zitiert das geschossübergreifend rankende Blätterwerk die Farbabfolge auf der Patientenzimmerseite. Patient*innen der gegenüberliegenden Stationen wird dadurch der Blick auf eine weiße Wand erspart. Ihr Ausblick wird stattdessen von naturnahen, abstrahierten Formen verschönert, die Farbe ins Zimmer und Anregungen für ihre Vorstellungskraft bringt…)
Text: Isabel Grüner, Kunstbeauftragte,
Robert Bosch Krankenhaus, Stuttgart