view painting
Martin Schick, Galerie der Stadt Backnang /
Susanne Wedewer-Pampus,
Kunstverein Leverkusen Schloss Morsbroich e.V. (Ed.)
Tanja Rochelmeyer
Kettler Verlag, Bönen, 2019,
80 p, Hardcover
Text: Susanne Wedewer-Pampus EN / DE
„Surface to air“, dieser Titel der Ausstellung von Tanja Rochelmeyer verführt zu eher spielerischen Interpretationen – von Oberflächen, die sich in Luft auflösen, in ihr explodieren. Bis es allerdings zu dieser „Explosion“ im Werk der Malerin kommt, sind es einige Schritte. Beginnen wir mit dem „Ausgangspunkt“, ihren großformatigen schwarz-weiß Bildern, in denen Elemente auszumachen sind von Brücken, Kurven, Rolltreppen, von Architekturen, Stadtlandschaften. Sie transportieren eine Atmosphäre von Schnelligkeit, Bewegung, sind bestimmt von Raumfluchten, dem abrupten Wechsel von Perspektiven. Am Computer entworfen und mit präzisem Pinselstrich auf die Leinwand gebracht, kalt, glatt, wie von Roboter-Hand, ohne jegliche Spuren des Malvorgangs. Ihre bildhaften Raumkonstruktionen erscheinen auf eine irritierende Weise vertraut durch die Verlinkbarkeit mit unserer Realität, der analog existierenden Architektur und der Virtuellen, wie wir sie aus Computerspielen und 3D-Animationen kennen. In einem frühen Text von Hendrik Lakeberg heißt es, „Rochelmeyers Darstellung von Architektur bleibt virtuell. Je länger man sich in ihre Bilder vertieft, je weniger Halt findet man. Die Perfektion der Farbverläufe und die unwirkliche Klarheit der Flächen täuschen nur auf den ersten Blick darüber hinweg, dass auf diesen formal präzisen und eleganten Bildern der Zustand fundamentaler Verwirrung gezeigt wird, denn die Geometrie will und will nicht aufgehen. Darin liegt das Verstörende aber auch das Abenteuerliche dieser Malerei.“ Ihrer Neugierde folgend beginnt Rochelmeyer im weiteren, die Stauchungen, Drehungen, räumliche Verschachtelungen, perspektiven Fluchten und abrupten Enden, wie wir sie aus den Gemälden kennen, in farbige Acryl-Plastiken zu übersetzen, indem sie aus einzelnen Acrylplatten reale skulpturale Räume kreiert. Sie habe hinter und zwischen die Räumlichkeiten ihrer Bilder schauen, habe sie aufbrechen, sie erkunden und schließlich den in der flächigen Darstellung nicht einsehbaren Zwischenräumen Gestalt verleihen wollen. Ihre vielfältigen Formen schneidet sie sowohl für diese Plastiken als auch für die folgenden Reliefs sehr exakt aus transparenten Acrylplatten, biegt und knickt sie unter Hitze – nicht nur zu weichen, organischen, sondern auch zu kantig spitz zulaufenden Formverläufen. In der Gesamtheit wirken diese wie Andeutungen einzelner Gesten, wie scheinbare, abgebrochene Bewegungen. Farbe kommt ins Spiel, eine Farbigkeit, die sie auch bei der Rück-Übersetzung ihrer dreidimensionalen Gebilde in die Zweidimensionalität von Reliefs beibehalten hat. Denn für sie stehen, wie sie sagt, „das Zusammenspiel von Farben, der damit einstehende Ausdruck der Arbeit und das Entstehen einer Illusion von Raum und Körper durch die Farbe im Vordergrund.“ Fast scheint es, als habe sie sich an ihre großen Bild-Konstruktionen heran gezoomt, sich mit der Rahmung auf ein bestimmtes Detail innerhalb der Überschneidungen und Überlagerungen der verschiedenen Raumebenen konzentriert und diese vergrößert. Das, was auf den ersten Blick beinahe dekorativ anmutet ob der transparenten Farbigkeit, der Materialität, erweist sich auf den zweiten Blick hier und da als fast aggressiv in den einzelnen Farbtönen, der teils scharfen Kantigkeit eines Linienverlaufs, der im Nichts mündet. In diesen Reliefs treibt Tanja Rochelmeyer die Abstraktion ihrer Formulierungen förmlich noch ein Stück weiter bis hin zu deren völligen Zersplitterung. Wobei sie diesen Vorgang an der Oberfläche „kaschiert“ mit der Einbindung des Bildgeschehens in eine intensive Farbigkeit – wie sie sie auch in ihrer neuesten Arbeit, „Surface to Air“ nutzt. Erstmals führt sie bei dieser Installation im Kunstverein Leverkusen ihre Konstruktion aus Acrylplatten von der Wandfläche aus in den Raum hinein, lässt sie förmlich explodieren in viele kleinteilige Einzelelemente. Deren Farben strahlen auf die Wand aus, in den Raum, lassen durch das Spiel mit dem Licht die Grenzen verschwimmen, sind nicht mehr greifbar als ein Ganzes, sondern lösen sich auf als Oberflächen, als einzelne Farb- und Informationsträger. Appelliert sie in ihren schwarz-weiß Bildern noch an unsere Raum-Erinnerungen aus der analogen wie der digitalen Welt, so forciert sie in ihren neueren Arbeiten die Einsicht in die Unmöglichkeit, aus einzelnen Splittern und Scherben, aus Erinnerungs- und Informationsfetzen noch eine in sich schlüssige Gesamtheit, eine Sinn machende Aussage zusammenfügen zu können. Das Auge weiß nicht länger, wo es beginnen soll, das Gesehene zu „lesen“. Denn so sehr wir vielleicht auch im abstrakten Sehen geschult sein mögen, im Aufspüren der leisesten Spur von Erkennbarem, das uns Halt zu geben verspricht, so ratlos sind wir, wenn Arbeiten wie die von Tanja Rochelmeyer sich dieser Haltung verweigern. Wir können hier nur noch wahrnehmen, kaum mehr erkennen oder interpretieren. Die Künstlerin sieht ihre Arbeiten als „Widerhaken“ in unserem auf Schnelligkeit getrimmten Zugriff auf unsere Welt, in der sich, wie Hanno Rauterberg in einem seiner Essays zur Kunst unserer Zeit schreibt, „… weite Teile in Datenwogen verwandeln, die nach Surfern verlangt, nach Menschen, die sich aufs Gleiten verstehen, auf ein Leben in permanenter, sich brechender Veränderung.“ Tanja Rochelmeyer geht es in dieser Zeit um das, wie sie es ausdrückt, erneute „Hingucken“.
Susanne Wedewer-Pampus, August 2019